Eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital galt lange Zeit als unmöglich oder zumindest als sehr schwierig umsetzbar. Doch die Zeiten haben sich geändert – heute bieten viele Banken und Kreditinstitute durchaus Möglichkeiten, den Traum vom Eigenheim auch ohne angesparte Eigenmittel zu verwirklichen. Diese Form der Finanzierung, auch als Vollfinanzierung oder 100-Prozent-Finanzierung bekannt, eröffnet insbesondere jungen Familien und gut verdienenden Berufstätigen neue Perspektiven auf dem Immobilienmarkt.
Der Verzicht auf Eigenkapital bedeutet jedoch nicht, dass die Finanzierung ohne Weiteres möglich ist. Banken stellen besondere Anforderungen an Kreditnehmer und verlangen höhere Sicherheiten. Dennoch kann eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital unter bestimmten Voraussetzungen eine sinnvolle Alternative zur klassischen Immobilienfinanzierung darstellen.
Was bedeutet Baufinanzierung ohne Eigenkapital?
Bei einer Baufinanzierung ohne Eigenkapital übernimmt die Bank die komplette Finanzierung des Kaufpreises oder der Baukosten einer Immobilie. Im Gegensatz zur herkömmlichen Baufinanzierung, bei der üblicherweise 20 bis 30 Prozent Eigenkapital eingebracht werden sollten, stellt das Kreditinstitut den gesamten benötigten Betrag zur Verfügung.
Man unterscheidet dabei zwischen zwei Varianten:
- 100-Prozent-Finanzierung: Die Bank finanziert den reinen Kaufpreis oder die Baukosten vollständig
- 110-Prozent-Finanzierung: Zusätzlich zum Kaufpreis werden auch die Erwerbsnebenkosten wie Notarkosten, Grundbucheintrag und Grunderwerbsteuer mitfinanziert
Die Vollfinanzierung stellt für viele Interessenten eine attraktive Option dar, da sie nicht jahrelang sparen müssen, bevor sie sich den Traum vom Eigenheim erfüllen können. Besonders in Zeiten niedriger Zinsen und steigender Immobilienpreise kann diese Finanzierungsform durchaus vorteilhaft sein.
Voraussetzungen für eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital
Banken gehen bei einer Baufinanzierung ohne Eigenkapital ein höheres Risiko ein und stellen daher besondere Anforderungen an potenzielle Kreditnehmer. Die wichtigsten Voraussetzungen im Überblick:
Einkommensvoraussetzungen
Ein überdurchschnittlich hohes und stabiles Einkommen ist die wichtigste Voraussetzung. Banken erwarten in der Regel ein Nettoeinkommen von mindestens 4.000 bis 5.000 Euro monatlich bei Alleinstehenden oder entsprechend höhere Haushaltseinkommen bei Paaren. Das Einkommen sollte zudem langfristig gesichert sein, idealerweise durch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.
Berufliche Situation
Besonders gute Chancen auf eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital haben:
- Beamte mit verbeamteter Stellung
- Angestellte in unkündbaren Positionen
- Akademiker mit sicheren Berufsperspektiven
- Fachkräfte in gefragten Branchen
Bonität und Schufa
Eine einwandfreie Bonität ist unerlässlich. Negative Schufa-Einträge oder bereits bestehende hohe Verbindlichkeiten führen meist zur Ablehnung. Die Bank prüft die Kreditwürdigkeit besonders gründlich, da sie ein höheres Ausfallrisiko trägt.
Immobilienbewertung
Die zu finanzierende Immobilie muss einen stabilen oder steigenden Marktwert aufweisen. Banken bevorzugen Objekte in guten Lagen mit hoher Wertbeständigkeit. Eine professionelle Immobilienbewertung ist daher zwingend erforderlich.
Vor- und Nachteile der Vollfinanzierung
Vorteile einer Baufinanzierung ohne Eigenkapital
Die Baufinanzierung ohne Eigenkapital bietet verschiedene Vorteile, die sie für bestimmte Zielgruppen attraktiv machen:
- Schneller Immobilienerwerb: Kein langes Ansparen notwendig, sofortiger Erwerb möglich
- Inflationsschutz: Bei steigenden Immobilienpreisen kann der sofortige Kauf günstiger sein als das Warten
- Niedrigzinsumfeld nutzen: Günstige Zinsen können sofort genutzt werden
- Liquidität bleibt erhalten: Vorhandene Ersparnisse können für andere Zwecke verwendet werden
- Steuervorteile: Höhere Kreditsumme kann zu größeren steuerlichen Vorteilen führen
Nachteile und Risiken
Dennoch bringt die Vollfinanzierung auch erhebliche Nachteile mit sich:
- Höhere Zinsen: Aufschlag von 0,5 bis 1,5 Prozentpunkten gegenüber normaler Finanzierung
- Längere Tilgungsdauer: Rückzahlung dauert deutlich länger
- Höhere Gesamtkosten: Mehr Zinsen über die gesamte Laufzeit
- Größeres Risiko: Bei Wertverlust der Immobilie droht Überschuldung
- Höhere Monatsraten: Größere finanzielle Belastung im Alltag
Verschiedene Finanzierungsmodelle im Detail
100-Prozent-Finanzierung
Bei der 100-Prozent-Finanzierung übernimmt die Bank den kompletten Kaufpreis oder die Baukosten. Die Nebenkosten müssen jedoch aus eigenen Mitteln finanziert werden. Diese Variante ist häufiger erhältlich und wird von mehr Banken angeboten.
Die Nebenkosten beim Immobilienkauf betragen in der Regel:
- Grunderwerbsteuer: 3,5 bis 6,5 Prozent je nach Bundesland
- Notarkosten: etwa 1,5 Prozent des Kaufpreises
- Grundbucheintrag: circa 0,5 Prozent
- Maklercourtage: 3 bis 7 Prozent (je nach Region)
110-Prozent-Finanzierung
Die 110-Prozent-Finanzierung geht noch einen Schritt weiter und schließt auch die Erwerbsnebenkosten mit ein. Diese Variante wird seltener angeboten und ist mit noch höheren Zinsen verbunden, da das Bankrisiko weiter steigt.
Kombination verschiedener Darlehen
Oft wird die Baufinanzierung ohne Eigenkapital durch eine Kombination verschiedener Darlehensformen realisiert:
- Annuitätendarlehen: Klassisches Darlehen mit gleichbleibenden Raten
- Nachrangdarlehen: Zusätzliches Darlehen für den über 100 Prozent hinausgehenden Anteil
- Bausparverträge: Können als Tilgungsersatz eingesetzt werden
Zinsen und Konditionen bei der Vollfinanzierung
Die Zinsen für eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital liegen deutlich über denen herkömmlicher Immobilienfinanzierungen. Der Zinsaufschlag beträgt üblicherweise 0,5 bis 1,5 Prozentpunkte, in Einzelfällen auch mehr.
Faktoren für die Zinshöhe
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Höhe der Zinsen:
- Bonität des Kreditnehmers: Je besser die Bonität, desto niedriger der Zins
- Laufzeit der Zinsbindung: Längere Zinsbindungen sind meist teurer
- Immobilienwert und -lage: Hochwertige Immobilien in guten Lagen erhalten bessere Konditionen
- Beleihungswert: Je höher der Beleihungswert, desto höher der Zins
- Tilgungsrate: Höhere Tilgung kann zu besseren Zinsen führen
Tilgungsstrategien
Bei einer Vollfinanzierung ist eine durchdachte Tilgungsstrategie besonders wichtig:
- Hohe Anfangstilgung: Mindestens 2 bis 3 Prozent sollten getilgt werden
- Sondertilgungen: Möglichkeiten für außerordentliche Tilgungen vereinbaren
- Tilgungsaussetzung: Nur in Ausnahmefällen sinnvoll
Welche Banken bieten Vollfinanzierungen an?
Nicht alle Banken bieten eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital an. Die Bereitschaft zur Vollfinanzierung variiert stark zwischen den Instituten:
Banken mit Vollfinanzierungsangeboten
- Überregionale Banken: Deutsche Bank, Commerzbank, HypoVereinsbank
- Direktbanken: ING, comdirect, 1822direkt
- Bausparkassen: Schwäbisch Hall, Wüstenrot, LBS
- Spezialisierte Anbieter: Interhyp, Dr. Klein, Baufi24
- Regionale Institute: Verschiedene Volksbanken und Sparkassen
Auswahl der richtigen Bank
Bei der Auswahl der Bank sollten folgende Kriterien berücksichtigt werden:
- Bereitschaft zur Vollfinanzierung
- Zinssätze und Konditionen
- Flexibilität bei Sondertilgungen
- Beratungsqualität
- Zusätzliche Dienstleistungen
Tipps für eine erfolgreiche Antragstellung
Eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital erfolgreich zu beantragen, erfordert eine sorgfältige Vorbereitung und Strategie:
Vorbereitung der Unterlagen
Vollständige und aussagekräftige Unterlagen sind entscheidend:
- Einkommensnachweise: Lohn- und Gehaltsabrechnungen der letzten 3 Monate
- Steuerbescheide: Der letzten 2 Jahre
- Schufa-Auskunft: Aktuelle Selbstauskunft
- Vermögensnachweis: Kontoauszüge, Depotauszüge
- Immobilienunterlagen: Exposé, Grundriss, Lageplan
Haushaltsrechnung optimieren
Eine realistische Haushaltsrechnung ist die Basis für die Kreditentscheidung:
- Alle Einnahmen und Ausgaben detailliert auflisten
- Puffer für unvorhergesehene Ausgaben einplanen
- Lebenshaltungskosten realistisch kalkulieren
- Künftige Einkommensentwicklung berücksichtigen
Mehrere Angebote einholen
Da sich die Konditionen zwischen den Banken stark unterscheiden können, sollten mehrere Angebote eingeholt und verglichen werden. Ein Finanzierungsberater kann dabei helfen, die beste Lösung zu finden.
Alternativen zur Vollfinanzierung
Falls eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital nicht möglich ist oder die Konditionen zu ungünstig sind, gibt es verschiedene Alternativen:
Muskelhypothek
Bei einem Hausbau kann Eigenleistung als Muskelhypothek angerechnet werden. Dadurch reduziert sich der Finanzierungsbedarf und die Konditionen verbessern sich.
Familiendarlehen
Ein zinsgünstiges oder zinsloses Darlehen von Verwandten kann als Eigenkapitalersatz dienen und die Finanzierungskonditionen verbessern.
Fördermittel nutzen
Verschiedene Förderprogramme können helfen:
- KfW-Förderung: Günstige Kredite für energieeffiziente Immobilien
- Wohn-Riester: Eigenheimrente als Finanzierungsbaustein
- Regionale Förderprogramme: Länderspezifische Unterstützung
Mietkauf oder Erbbaurecht
Diese Finanzierungsformen ermöglichen den Immobilienerwerb ohne große Anfangsinvestition:
- Mietkauf: Miete wird auf späteren Kaufpreis angerechnet
- Erbbaurecht: Nur das Gebäude wird gekauft, das Grundstück gepachtet
Risiken und Absicherung
Eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital birgt erhöhte Risiken, die durch entsprechende Absicherungsmaßnahmen minimiert werden sollten:
Wichtige Versicherungen
- Risikolebensversicherung: Absicherung der Familie im Todesfall
- Berufsunfähigkeitsversicherung: Schutz vor Einkommensausfall
- Arbeitslosenversicherung: Zusätzlicher Schutz bei Jobverlust
- Wohngebäudeversicherung: Schutz der Immobilie
Liquiditätsreserve
Trotz Vollfinanzierung sollte eine Liquiditätsreserve von 3 bis 6 Monatsausgaben vorhanden sein, um unvorhergesehene Ausgaben abdecken zu können.
Steuerliche Aspekte
Bei einer Baufinanzierung ohne Eigenkapital können steuerliche Vorteile entstehen, insbesondere wenn die Immobilie vermietet wird:
Vermietung und Verpachtung
Wird die Immobilie vermietet, können folgende Kosten steuerlich geltend gemacht werden:
- Zinsen für das Baudarlehen
- Abschreibungen auf das Gebäude
- Instandhaltungskosten
- Verwaltungskosten
Selbstnutzung
Bei selbstgenutzten Immobilien sind die steuerlichen Möglichkeiten begrenzt, aber es gibt dennoch Vorteile:
- Keine Spekulationssteuer bei Verkauf nach 10 Jahren
- Förderung durch Wohn-Riester möglich
- Handwerkerkosten teilweise absetzbar
Fallbeispiele aus der Praxis
Beispiel 1: Junges Paar mit hohem Einkommen
Ein Arzt und eine Anwältin mit zusammen 8.000 Euro Nettoeinkommen wollen eine Immobilie für 450.000 Euro kaufen. Durch ihre berufliche Situation und das hohe Einkommen erhalten sie eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital zu 2,8 Prozent Zinsen bei einer Laufzeit von 15 Jahren.
Beispiel 2: Beamter mit sicherem Einkommen
Ein verbeamteter Lehrer mit 4.500 Euro Nettoeinkommen kann eine Immobilie für 350.000 Euro über eine Vollfinanzierung erwerben. Seine sichere berufliche Situation ermöglicht günstige Konditionen trotz fehlendem Eigenkapital.
Marktentwicklung und Ausblick
Die Nachfrage nach einer Baufinanzierung ohne Eigenkapital hängt stark von der allgemeinen Zinsentwicklung und den Immobilienpreisen ab. In Niedrigzinsphasen steigt die Attraktivität dieser Finanzierungsform, während bei steigenden Zinsen die Kosten überproportional ansteigen.
Zukünftige Entwicklungen
Experten erwarten folgende Trends:
- Verschärfung der Vergabekriterien durch regulatorische Änderungen
- Verstärkte Nutzung digitaler Bewertungsverfahren
- Neue Finanzierungsmodelle durch FinTech-Unternehmen
- Stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeit bei der Bewertung
Fazit und Empfehlungen
Eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital kann unter bestimmten Voraussetzungen eine sinnvolle Option sein. Besonders für gut verdienende Berufsgruppen mit sicheren Einkommensverhältnissen bietet sie die Möglichkeit, schnell und ohne langes Sparen den Traum vom Eigenheim zu verwirklichen.
Wichtig ist jedoch eine realistische Einschätzung der eigenen finanziellen Situation und der Risiken. Die höheren Zinsen und die längere Tilgungsdauer sollten sorgfältig kalkuliert werden. Eine umfassende Beratung durch einen erfahrenen Finanzierungsexperten ist daher unerlässlich.
Vor der Entscheidung für eine Vollfinanzierung sollten alle Alternativen geprüft werden. Möglicherweise ist es sinnvoller, erst etwas Eigenkapital anzusparen oder Fördermittel zu nutzen, um bessere Konditionen zu erhalten.
Letztendlich hängt die Entscheidung von den individuellen Umständen ab. Bei einer sorgfältigen Planung und der Berücksichtigung aller Faktoren kann eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital durchaus erfolgreich umgesetzt werden und den Weg ins Eigenheim ebnen.